PM Magazin: Die Banker des Propheten
Das islamische Finanzsystem erweist sich als immun gegen die globale Krise. Was können westliche Banker vom Koran lernen?
Mohammed wäre ein schlechter Banker gewesen. Als der Prophet des Islam vor 1500 Jahren in Mekka lebte, wollte er faire Geschäfte machen. Seine Kunden sollten wissen, worauf sie sich einließen. Mit Weizen, Seide und Salz wollte er handeln, mit realen Produkten – nicht bloß mit Geld. »Die Zins verschlingen, stehen nicht anders da als einer, den der Satan mit Wahnsinn geschlagen hat.« So wurde es später in den Koran geschrieben – aber das ist lange her. Am Finanzmarkt der vergangenen Jahre interessierte das keinen. Da wetteten Hedgefonds auf Kreditrisiken, da spekulierte man auf fallende Kurse von Wertpapieren, die man gar nicht besaß. Da erfand man immer undurchsichtigere Finanzprodukte, die mit der echten Wirtschaft nichts mehr zu tun hatten. Bis die Blase platzte. Aber seit dem großen Finanzcrash werden die Regeln neu geschrieben – und dabei hat Mohammed plötzlich doch etwas zu sagen. Denn Islamic Finance, die Finanzordnung auf Basis der Scharia, bietet der globalen Krise die Stirn.
Korantreue Anleger hat die größte Finanzkrise seit 80 Jahren tatsächlich weit weniger schlimm getroffen. Die Scharia – das islamische Recht, das im Westen bislang als Synonym für Grausamkeit galt – verbietet die riskanten Geschäfte, mit denen sich Banker weltweit verspekuliert haben. Während im Westen ganze Investmenthäuser unter der Last von faulen Krediten und hoher Verschuldung zusammenbrachen, verzeichnen die Anbieter von Islamic Finance zweistellige Wachstumsraten. Ist es aus-gerechnet der Koran, von dem westliche Banker heute lernen können? Und hätte sich eine derartige Krise mithilfe der Scharia womöglich gar verhindern lassen? Müssen wir unser Weltbild vom radikalen, rückständigen Islam revidieren?
Erst 1975 wurde die Dubai Islamic Bank als erste Scharia-konforme Bank gegründet – heute gibt es gut 300 Finanzanbieter in 75 Ländern. Nach muslimischen Regeln wurde zwar schon im Mittelalter gehandelt, aber erst die steigenden Öleinnahmen förderten in den 1970er Jahren ein neues muslimisches Selbstbewusstsein und einen eigenen, Scharia-konformen Bankensektor.
Eine Billion Dollar werden Einlagen und Investments von Islamic Finance im Jahr 2010 ausmachen, prophezeit die Unternehmensberatung McKinsey. Investiert werden darf nur in Branchen, die »halal«, also rein sind. Geschäfte mit Schweinefleisch, Alkohol, Glücksspiel, Waffen oder Pornografie sind ausgeschlossen. Noch ist Islamic Banking ein Nischenmarkt, auch in den muslimischen Ländern selbst. Doch das könnte sich gerade in unsicheren Zeiten ändern: »Die Voraussetzungen für ethische Investments sind jetzt sehr günstig – damit auch für Scharia-konforme Produkte«, sagt der Islamic-Finance-Experte Philipp Wackerbeck. Das sieht sein Wiener Kollege Christian Rauscher ähnlich: »Die Grundgedanken des Korans sollen Menschen genau vor dem schützen, was Ursache der Krise ist.« Die unmissverständlichen Vorschriften dahinter machen Islamic Finance zu einem Beispiel für ein reguliertes Wirtschaftssystem, wie es dem zerrütteten Kapitalismus gar nicht stärker widersprechen könnte.
Für gläubige Muslime im heutigen Finanzmarkt gilt dasselbe wie auf dem Basar von Mekka, als Mohammed dort um das Jahr 600 Geschäfte machte. Wichtige Grundgüter durften schon damals untereinander nicht mit Aufschlag gehandelt werden – das gilt heute auch für Geld: »Riba«, das islamische Zinsverbot, verbietet es, Geschäfte mit den Schulden anderer zu machen. Es soll sicherstellen, dass Geld nicht auf der Bank gehortet wird, sondern in die Gesellschaft zurückfließt. Deshalb dürfen Muslime auch keine Aktien von klassischen Bank- und Finanzhäusern kaufen, die genau damit verdienen.
Das Verbot von Unsicherheit, »Gharar«, betrifft riskante Anlageformen sowie Vertragsabschlüsse. Jede Seite soll wissen, worauf sie sich bei einem Geschäft einlässt, und verkauft werden darf nur, was man auch besitzt. »Maysir« untersagt jede Art von Glücksspiel, also auch Börsenzockerei – ja, sogar Versicherungen, die viele Gelehrte als »Wette auf das Unglück« geißeln. »Takaful«, die Scharia-konforme Alternative, basiert auf einer genossenschaftlichen Idee und schüttet nicht zur Schadensregulierung verwendete Beiträge an alle Versicherten aus.
Hinter all diesen Geboten steht die große Idee Mohammeds: Profit ist erlaubt, solange er dem Gesamtwohlstand dient und nicht nur dem des Einzelnen. Dass auf diesem Prinzip in den vergangenen 30 Jahren ein boomender Markt entstanden ist, liegt auch daran, dass das Öl kontinuierlich Geld in die muslimischen Banken sprudeln ließ. Den Erfolg von Islamic Finance allein darauf zu reduzieren wäre jedoch ein Fehler.
Dass der islamischen Finanzwelt der große Knall erspart geblieben ist, ist kein Zufall, wie ein Blick auf die jüngste Krise zeigt. Das Zinsverbot schließt auch jene Immobilienkredite aus, wie sie amerikanische Banken an Menschen vergeben haben, die sich Grundbesitz eigentlich gar nicht leisten können. Als Köder dienten niedrige Zinssätze, die mit Ende der Laufzeit jedoch stark stiegen. Durch die Häuser scheinbar abgesichert, wurden die Kredite als innovative Finanzprodukte weltweit verkauft. Doch als immer mehr Menschen ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten und die Häuser an Wert verloren, platzte die Blase.
Ein muslimischer Bankkunde kann sich sein Haus zwar dennoch kaufen, aber auf einem anderen Weg: Bei einer »Murabahah«-Finanzierung etwa erwirbt die Bank das gewünschte Haus und verkauft es zu einem höheren Preis weiter, den der Kunde dann in Raten abzahlt. Der Vorteil: ein klarer Überblick über die nötigen Zahlungen und keine Zinssprünge.
Für muslimische Anleger war noch ein anderes Sicherheitsnetz gespannt: Die gottgefälligen Aktienkörbe enthielten keine Papiere der besonders hart getroffenen Banken- und Finanzbranche – Verschuldungsgrad und Zinseinnahmen der Banken wären zu hoch. »Dadurch haben islamische Finanzwerte die Krise besser überstanden«, sagt Wackerbeck. Der Vergleich des US-Indexes S&P 500 mit seinem Scharia-konformen Pendant »S&P 500 Shariah« zeige es, auch wenn sich zuletzt Kursverluste von Öl- und Immobilienaktien negativ ausgewirkt hätten.
Westliche Anbieter haben den neuen Sektor mittlerweile entdeckt. In Großbritannien und der Schweiz gibt es bereits Scharia-konforme Vollbanken, die britische HSBC Bank hat schon seit 1998 eine entsprechende Tochtergesellschaft. Deutsche Unternehmen wollen den Markt vor Ort erobern: Der Münchener Versicherungsanbieter FWU vertreibt Takaful bereits in zahlreichen islamischen Ländern, die Deutsche Bank hat das Geschäft in Dubai aufgenommen.
Werden europäische Banker bald an einem der Islamic-Finance-Studiengänge pauken, wie er etwa gerade an der Robert-Schuman-Universität in Straßburg entsteht? Völlig utopisch ist das nicht. »Ganz konkret kann man zum Beispiel lernen, dass zu hohe Verschuldungsgrade nicht gut sind«, sagt Wackerbeck. Sowohl Banker als auch Gesetzgeber könnten sich von solchen Regeln der Scharia inspirieren lassen.
Wirtschaftswissenschaftler Bernd Senf, der das Zinssystem schon länger kritisiert (siehe P.M. 3/08), ist das jedoch zu wenig: »Uns wurde das materielle Paradies auf Erden versprochen. Stattdessen entstand eine globale Spielhölle, die für ein paar ein Spiel, für die meisten aber die Hölle war.« Besinnung sei angesagt, um die Irrtümer des Kapitalismus aufzudecken. Die biblische Wortwahl erinnert an die religiöse Tradition Europas – die von den wirtschaftlichen Grundsätzen des Islam nicht so weit entfernt ist. Der katholische Erzbischof Reinhard Marx spricht ebenfalls von »Strukturen der Sünde« und von festen Rahmenbedingungen, die es deshalb brauche. Auch das Judentum kennt das Zinsverbot. All diese Botschaften treffen sich heute mit dem steigenden Bedarf nach nachhaltigen Investments. Die ethische Grundlage mache Islamic Finance deshalb auch für nichtmuslimische Anleger interessant, meint Jalalle Chahboune, Direktor des Institute for Islamic Banking and Finance (IFIBAF).
Noch entsprechen aber nicht alle Produkte den hohen moralischen Ansprüchen. Islamic Finance muss sich immer wieder anhören, klassische Finanzprodukte lediglich nachzubilden – und ist vor Abstürzen nicht gefeit. Das zeigt sich gerade in Dubai, wo bereits von einer neuen Immobilienblase die Rede ist. Das trifft auch islamische Hypothekenbanken wie Amlak und Tamweel, für die es bereits staatliche Kapitalspritzen gab. Regional ausgerichtete Fonds leiden ebenso unter den Wertverlusten im Immobiliensektor – traditionell ein wesentliches Standbein von Islamic Finance: »Gerade weil der Finanzsektor in diesen Aktienkörben fehlt, sind andere Branchen, darunter auch die Immobilienbranche, stärker gewichtet«, sagt Wackerbeck.
Zudem lässt sich die Qualität all der Islamic-Finance-Produkte nur schwer beurteilen – es gibt nämlich keine einheitlichen Standards. Der Koran beantwortet nicht eindeutig, ob etwa Derivate erlaubt sind oder wie eine gottgefällige Hausfinanzierung im Jahr 2009 aussieht. Deshalb entscheiden geistliche Gremien, welche Produkte eine Bank oder Versicherung als Scharia-konform bezeichnen darf. Da es im Islam fünf verschiedene Denkschulen gibt, ist vieles Auslegungssache. Zudem gibt es bisher weltweit nur rund 50 dieser Experten: »Manche Gelehrte sitzen in bis zu 20 dieser Scharia Boards«, sagt Wackerbeck. Kritisiert wird, dass solche Experten die Produkte der Konkurrenz kennen und die eigene Entlohnung diktieren können.
Aus westlicher Sicht stehen gerade die geistlichen Gremien für eine grundsätzliche Schattenseite von Islamic Finance: Es beruht auf einem System, das Religion und Staat nicht trennt und in vielen Ländern autoritärdurchgesetzt wird. Die unkontrollierten Deals am westlichen Finanzmarkt sind bis zu einem gewissen Grad auch der Preis für die Freiheit, auf der demokratische Gesellschaften aufbauen. Eine Finanzordnung nach der Scharia hätte zwar den großen Crash verhindert – aber auch den Aufschwung davor gebremst.
Für die Mehrzahl der deutschen Banker bleibt Islamic Banking deshalb ein Phänomen des arabischen Raums. Der deutsche Sparkassenverband etwa evaluiert zwar gerade die Marktchancen in Deutschland, das große Massengeschäft erwartet man sich aber nicht: »Ich sehe das eher skeptisch, weil deutsche Muslime stark von traditionellen Bankprodukten Gebrauch machen«, sagt Manfred Piel, Referent für internationale Beziehungen. Auch die Deutsche Bank gibt sich im heimischen Markt eher abwartend.
Ein weltweites Finanzsystem nach den Regeln der Scharia wird den zerrütteten Kapitalismus daher wohl nicht ablösen. Die Vision hinter all den Verboten sollten westliche Banker allerdings nicht gleich verwerfen: ein Wirtschaftssystem, das den Mehrwert für die Gesellschaft höher stellt als den für den Einzelnen. An diesen hohen Vorgaben muss sich auch Islamic Finance selbst messen lassen. Branchenkenner kritisieren, dass gerade in muslimischen Ländern viele Menschen noch gar keinen Zugang zum Bankwesen haben. Erst wenn sich auch der Kaufmann im heutigen Mekka seinen eigenen Laden finanzieren kann, haben die muslimischen Banker ihr Geschäft wirklich verstanden – und Mohammed hat nicht umsonst gepredigt.
Autorin: Cornelia Schuss von PM-Magazin
Beware of darkness and finanz jugglery.
Ein höchst aufschlußreicher Artikel indeed, es wäre empfehlenswert wenn die Finanzgurus dies einmal Lesen würden. Leider beschleicht mich der Gedanke, das dieses ganze Finanz Desaster wieder einmal nur ein paar schlauen Absahnern nützt und viele Staaten in die Krise stürzt, gewollt oder ungewollt,das ist hier die Frage? Indien bleibt in weiten teilen auch von der ganzen Krise verschont, weil es dem alten Grundsatz ” be Indian by Indian ” redlich treu geblieben ist und von US Krediten Abstand genommen hat. Ja, von Indien lernen, bedeutet Siegen lernen, das hat schon mein seliger Großvater gemeint und Inder Finanzkrise bewahrheitet es sich wieder einmal zu recht. Aryavarta ist der Kopf der Welt, damals so wie heute, das meinen ja alle schlauen Leute!