Der Erzbischof von Wien schrieb eine kleine Epistel gegen den “Neodarwinismus”. Was bezweckte er damit? Kardinal Christoph Schönborn ist eigentlich nicht das, was die Wiener einen scharfen Hund nennen. Er ist von altem Adel, wirkt weltläufig, und unter allen möglichen Papst-Nachfolgern, die in diesem Frühjahr gemustert wurden, war er einer der jüngsten, gerade mal 60 Jahre alt. Und so fesch, der Herr Kardinal.
Wenn der Erzbischof predigt, im Stephansdom zu Wien, dann kommen nicht nur die Gläubigen. Denn Schönborn macht sich Gedanken. Er liest viel, gern auch Populärwissenschaftliches über Kosmologie und Biologie, und manchmal liest er wohl auch etwas zu viel.
Am 7. Juli erschien in der “New York Times” ein kurzer Text, der zunächst wirkte, als wäre er Schönborn aus der Feder gerutscht. Ansonsten wäre er ein Skandal.
Es geht um ein weites Feld: um Glauben und Wissenschaft, um Gott und Charles Darwin, der nicht nur die Lehre von der Evolution begründete, sondern auch ein Theoriegebilde hinterließ, das ohne Schöpfer auskommt.
Schönborn fühlte sich aufgefordert, das Verhältnis von Katholizismus und Wissenschaft zurechtzurücken: “Die Verteidiger des neodarwinistischen Dogmas”, schrieb er im liberalen Ostküstenblatt, “haben sich oft auf die angebliche Anerkennung – oder doch Duldung – durch die römisch-katholische Kirche berufen, wenn sie ihre Theorie als irgendwie vereinbar mit dem christlichen Glauben verteidigen. Aber das ist nicht wahr.”
Wer abstreitet, dass es in der Menschheitsgeschichte einen intelligenten Plan gibt, der betreibe, so fährt Schönborn fort, keine Wissenschaft, sondern Ideologie. Evolution sei mehr als ein Spiel von Zufall und Auslese, sondern durchgängig von Gott gewollt. Differenziertere Äußerungen “unseres geliebten Johannes Pauls” von 1996 seien “ziemlich vage und unwichtig”.
Schönborns Richtigstellung über den Vorrang des Glaubens vor der Wissenschaft sorgt seither für wachsenden Aufruhr. Der Zoologe Sir Richard Edmund Southwood, ein langjähriges Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, meint dazu: “Evolutionstheorie und katholischer Glaube stehen keineswegs in Widerspruch zueinander.”
Von “Kompetenzüberschreitung” spricht der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera. Amerikanische Wissenschaftler fordern eine Stellungnahme des Papstes.
Immerhin war der “vage und unwichtige Brief”, den Schönborn erwähnt, eine Botschaft Johannes Pauls II. auch an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Darin schrieb er, die Evolutionstheorie sei “mehr als nur eine Hypothese”. Und immerhin gilt Schönborn manchen als Kronprinz Joseph Ratzingers. So stellt sich die Frage: Macht er das im Auftrag von Benedikt XVI.?
Papst Pius XII. hatte 1950 in seiner Enzyklika “Humani generis” eine Koexistenz von Glauben und Evolutionstheorie für möglich erklärt. Die Kirche macht keine Aussage über den wissenschaftlichen Wert der Theorie. Umgekehrt darf die Wissenschaft aus katholischer Sicht die Möglichkeit einer “Causa causae”, einer letztendlichen Ursache aller Ursachen, nicht explizit leugnen. Das war seither Common Sense.
Im vorigen Jahr hatte Joseph Ratzinger, als Vorsitzender einer Internationalen Theologenkommission, diese Einstellung bekräftigt. Glaube und Wissenschaft im konfliktfreien Nebeneinander: Die menschliche Seele ist direkt von Gott geschaffen, aber für die Entstehung von Hörnchenarten haben Darwin und seine Schüler eine bislang unwiderlegte Erklärung geliefert.
Nun pflegt der weltoffene Erzbischof von Wien aber auch Kontakte zu katholischen Traditionalisten, für die die Evolutionstheorie eher Teufelswerk ist.
Als Großkanzler des “Theologischen Instituts für Studien zu Ehe und Familie” in Gaming lernte der Kardinal den Amerikaner Mark Ryland kennen. Der sitzt im Vorstand des Zentrums und ist zugleich Vizepräsident des “Discovery Institute”, einer kuriosen Denkschule in Seattle, die sich dem Kampf gegen den Neodarwinismus verschrieben hat.
Die Pseudowissenschaftler dort an der Westküste behaupten, “Intelligentes Design” stecke hinter der Entstehung der Arten. Evolution sei kein zufälliger, sondern ein zielgerichteter Prozess mit Gott quasi als Programmierer des Navigationssystems. Daher dürfe Evolution an amerikanischen Schulen nur “kontrovers” gelehrt werden.
Europa ist da weiter. Peter Gruss, Entwicklungsbiologe und Präsident der Max-Planck-Gesellschaft,
sagt: “Ich kenne kein kohärenteres und konsistenteres Gedankengebäude als die Evolutionstheorie.” Über alles Weitere lasse sich nur spekulieren: “Der Schöpfer ist nicht falsifizierbar” – ebenso wenig wie es Beweise für die Existenz Gottes gibt, gibt es Gegenbeweise.
Der Kardinal hat sich nach Abfassung seiner Epistel auf Pilgerfahrt durch Polen begeben. Per E-Mail an den SPIEGEL bekräftigt er die Nähe zwischen Wien und den christlichen Ideologen in Seattle: “Die Konzeption des ,Intelligent Design’ hat sich außerhalb der katholischen Kirche entwickelt. Es gibt ohne Zweifel viele Berührungspunkte zwischen dieser Konzeption und der Lehre der katholischen Kirche.”
Entscheidend sei, was Benedikt XVI. bei seiner Amtseinführung gesagt hat: “Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes.”
Nichts ist zufällig in Seiner Welt. Auch ein Text nicht. ALEXANDER SMOLTCZYK
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